König Kunde und seine Macht

by · April 23, 2012

Sind Österreichs Finanzkunden als König Kunde auf der Flucht vor Ihren Dienern?
Das vielgepriesene Dogma vom „König Kunde“ hat viele Facetten. Einige davon waren den hiesigen Finanzdienstleistern gar nicht bewusst. So waren doch viele überrascht, dass die Könige sich ihrer Dienerschaft entledigten und offenbar damit ihr Königdasein aufgaben.
Mitnichten, denn damit brachten sie nur ihre Macht zum Ausdruck und vermittelten eindrucksvoll, dass die Entscheidung alleine beim Souverän liegt. Die Konsequenzen für die Heerscharen von Finanzberatern sind bekannt. Im Zuge der Finanzkrise wurde nach dem Rekordjahr 2007 für den Finanzberatungssektor eine Tour der Leiden eingeleitet, die heute eine völlige andere Marktsituation real werden ließ.

Der König Kunde hat seine Macht spüren lassen und seine eigenen Tragödien seine Untertanen spüren lassen. Nur war der König weit weniger von seinen Untertanen abhängig wie diese von ihm. Denn die vielen Kunden brauchten zum Überleben keine Finanzberater, diese allerdings sahen ohne Kunden ihre Existenz gefährdet. In der Tat waren die Folgen dramatisch. Hunderte – wahrscheinlich Tausende – verloren ihre Existenzgrundlage, viele hielten dem Druck nicht mehr stand und flohen in die Krankheit. „Ich betreue einige Finanzberater, die alle am Rand eines Burnouts stehen und nur mehr mit Unterstützung von Psychopharmaka oder Alkohol den Alltag bewältigen können. Erst kürzlich versuchte eine Klientin den Selbstmord eines Kollegen, der offenbar den Druck nicht mehr aushielt, mit meiner Hilfe zu bearbeiten“, bestätigt die Psychologin Lieselotte Fieber eine negative Entwicklung. Nicht jeder wurde krank. Viele wechselten einfach den Job. Einige blieben in der Beratung und suchen ihr Glück in vermeintlich sicheren Häfen. „Ich habe meine Vermögensberatungsgesellschaft verkauft und schließe mich einem externen Bankvertrieb an. Da habe ich ein Fixum, um das ich heute als selbstständiger Vermögensberater kämpfen muss. Von der Bank bekomme ich Kunden zugeteilt, die ich heute auch nicht mehr habe, weil ich den Programmen der Produktanbieter aufgesessen war und damit meine Kunden enttäuscht hatte“, verrät ein nicht genannt werden wollender, der Redaktion aber bekannter Vermögensberater, der in guten Jahren mit einem 90.000-Euro-Mercedes-SUV seine Kunden besuchte und heute auf einen Fiat-Kleinst- wagen um 5.000,- Euro umstieg.

DIE ÜBERMÄCHTIGEN

Anders, wie bei mittelalterlichen Kriegen, waren diesmal nicht die Könige – also die Kunden – Schuld an diesem Fiasko. Früher kämpften die Könige um mehr Macht, mehr Ländereien, um Einfluss und Schätze. Heute ist der König Kunde ein Ausgelieferter. So hatten die Kunden-Könige wahrlich wenig mit dem Niedergang zu tun. Im Gegenteil, Kunden und deren Berater sahen sich in Abhängigkeit zu anderen Mächten. Sie fühlten sich machtlos und aus- geliefert. Die „Übermächtigen“ – unbekannte Organisationen, Großbanken und deren Kreative, Abzocker und Spekulanten – haben ein böses Spiel betrieben. Die Staatengemeinschaft musste handeln und sprang in die Bresche. Außerdem reagierte sie mit Verordnungen. Nur wen trafen diese? Jedenfalls

nicht die „Übermächtigen“ und auch nicht die Könige in Gestalt der Kunden, sondern die Diener derer – also die Beratungsfirmen, Makler und Vermögensberater. Die Finanzberater mussten eine Suppe auslöffeln, die ihnen andere ein- gebrockt hatten.

GESETZE FÜR DIE DIENER

Konsumentenschützer und auch viele Finanzberater selbst, begrüßen neue Verordnungen. Die EU-Vermittlerrichtlinie und die Reformen entsprechender Gesetze haben die tägliche Arbeit von Finanzberatern entscheidend verändert. Die Dokumentations-und Informationspflichten sind umfangreicher und Beratungsinhalte objektiver. Die Gesetzesänderungen und die EU-Vermittlerrichtlinie stehen für ein regulatives Umfeld, das von einigen Wettbewerbern der Finanzdienstleistungsbranche allerdings auch als hinderlich für die Expansion und das Wachstum angesehen wird. Michael Trotz, Vorstand der 11experts AG und geschäftsführender Gesellschafter der Finance-Consult GmbH erklärt, dass der Gesetzgeber lediglich Formvorschriften vorgeben kann, die eingehalten werden müssen, wie zum Beispiel das Beratungsproto- koll. Für den qualitativen Inhalt des Beratungsgesprächs hingegen haben diese Formvorschriften nach seiner Meinung keine Bedeutung, denn der Kunde benötigt eine individuelle Beratung, die zu seinen persönlichen Verhältnissen passt und fortlaufend an neue Entwicklungen angepasst wird. Diese Anpassung kann anhand eines adaptiven Controllings erfolgen, bei dem mindestens ein- mal im Jahr das Portfolio des Klienten angeschaut wird und über eventuelle Veränderungen gesprochen wird.

Eine andere Meinung vertritt der Geschäftsführer von OVB Österreich, Dkfm. Michael Bolz, die er kürzlich auch kund gab: „Ich sehe die Zukunft in einer verpflichtenden unabhängigen Prüfung von außen. Die OVB ist schon seit 2006 TÜV-geprüft und scheut sich nicht vor regelmäßigen Rezertifizierungen. Diesen Kontrollen unterziehen wir uns freiwillig – als einziger Finanzdienstleister in Österreich.“ Die Finanzberaterbranche musste

auf die Änderungen reagieren. Nun könnten die König-Kunden wieder ruhiger schlafen und ihre Diener zurück auf’s Schloss holen. Das machen sie aber nicht, sondern legen ihr Geld auf geld- wertvernichtende Sparbücher, die weit tiefer verzinst sind als die Inflationsrate oder vielleicht sogar in den Tresor. Aber was machte der Gesetzgeber mit den „Übermächtigen“? Offenbar gar nichts.

IM DIENSTE DES KÖNIGS

Natürlich sind nicht alle Könige auf der Flucht – schließlich brauchen sie ihre Dienerschaft. Diese versucht in unterschiedlicher Art und Weise ihre Stellung zu halten.

Der Chef der Excellent Group aus Linz, Andreas Waldenberger, sieht einen Wandel kommen: „Das wird die große Veränderung in unserer Branche sein – weg vom reinen Produktverkauf, hin zur gesamtheitlichen Beratung. Allerdings braucht es dafür eine gesetzliche Änderung. Wenn nicht der Gesetzgeber die Versicherungen und KAG verpflichtet, keine Provisionen zu zahlen, wie in anderen Ländern bereits üblich, dann wird die Umstellungsphase schwierig werden. Viele Privatkunden verstehen das Konzept derzeit nämlich noch nicht. Für etliche Anbieter wird außerdem ein gewisses Liquiditätsproblem entstehen. Denn Honorarberatung heißt auch, dass man das Geld nicht auf einmal, sondern vielleicht auf Laufzeiten von drei, vier, fünf Jahren bekommt.“

Einer der größten Ärztemakler Österreichs, Andreas Reinthaler, sieht seit 2009 keinen Optimismus mehr: „Es geht einfach darum, die Substanz zu bewahren, nicht mit hinterher zu schwimmen. In meiner Zielgruppe wird sowieso konservativer und nachhaltig gedacht. Meine Philosophie ist: Im privaten Sektor sind Wertpapiersparpläne tot – wegen des Beratungsaufwands, der Risikosituation und verstärkt durch die Wertpapier KESt. Der klassische Fondssparplan hat für mich immer weniger Bedeutung. Wertpapiere müssen, wenn schon, aktiv gemanagt werden. Ich setze eher auf substanzhaltige Beteiligungen, und hierbei stark auf den Immobilienbereich.“

WAS DER KÖNIG BRAUCHT

Hier gehen die Meinungen auch stark auseinander. Die Kundenbedürfnisse haben sich seit der Krise stark verändert und die Loyalität der Verbraucher gegenüber ihren Finanzdienstleistern ging stark zurück. Durch verschiedene Ungereimtheiten und öffentliche Skandale wurde das Vertrauen der Kunden erschüttert und das Image der Finanzbranche beschädigt. Im „Investor“ meint Andreas Waldenberger auf die Frage, wie die Finanzberater das Vertrauen der Kunden zurückgewinnen können: „Der Vertrauensverlust liegt ja nicht an AvW, Meinl oder ähnlichen Firmen. Der Gesamtmarkt wird durch Angst, Gier und Panik getrieben. Die Börsen zeigen Tagesvolatilitäten von sieben Prozent. Wenn ich einen fundamental guten Wert habe, ein Unternehmen ohne Schulden mit guter Eigenkapitalausstattung, und das Papier ist trotzdem 50 Prozent im Minus, dann liegt das nicht am Finanzberater, sondern an den Märkten, der Psychologie und den Nachrichten. Ich glaube, dass wir profitieren, wenn wir jetzt zum Kunden hinausgehen und das Gesamtbild aufzeigen: Wenn sich die Panik beruhigt, gibt es wieder Chancen. Die Märkte werden sich erholen.“

Für den Finanzökonomen Helmut Weigt erfordert Vertrauen qualitativ hochwertige Arbeit und Verlässlichkeit des Finanzberaters und er beschreibt das Berufsbild des idealen Finanzberaters folgendermaßen: „Gute Berater er- kennt man weniger am selbstgewählten Titel als vielmehr daran, dass sie den Anleger ausfragen: zu Anlagezielen, Zeithorizont, Risikobereitschaft, momentanem Einkommen, bereits vorhandenen Vermögenswerten, Darlehen und Krediten sowie nach der persönlichen Lebenssituation wie Alter, Beruf und familiäres Umfeld.“ Ein sympathischer Berater und eine angenehme Gesprächsatmosphäre stellen nur das Grundgerüst einer qualitativ hochwertigen Finanzberatung dar. Der Finanzkunde von heute ist gut informiert und stellt hohe Ansprüche an eine Beratung. Die Kunden verlangen Transparenz, denn nur aufgeklärte Kunden können auf Augenhöhe mitreden. Helmut Horeth, Vorstand der Nürnberger Versicherung, beschreibt die zukünftige Hauptaufgabe des Finanzberaters folgendermaßen: „Den Lebensstandard unserer Kunden auch während der Pension zu sichern – das ist unsere Herausforderung! Die Lösung bietet eine private Pensionsvor- sorge – die einzige mit einer garantierten lebenslangen Rente. Es ist die Verpflichtung jedes unabhängigen Beraters, diese seinen Kunden anzubieten.“

Der Finanzmarketing-Professor Dr. Micha Bergsiek untersuchte in Zusammenarbeit mit den Professoren der University of South Florida und der staatlichen Hochschule St. Petersburg in einer Studie über die Kundenerwartungen in der Finanzdienstleistungsbranche die Wünsche des Königs Kunde. Es wurden mehr als 600 Personen zur Thematik befragt. Aus der Studie geht hervor, dass im internationalen Vergleich das wichtigste Positivkriterium „Vertrauen“ ist, gefolgt von „Konditionen“ und „Ertrag“. Die technikbezogenen Unterpunkte wie „Onlinebanking“ oder „Portfolio Internet Access“ haben hingegen eine wesentlich geringere Bedeutung als zum Beispiel in den USA oder Russland. Des weiteren wurden die Testpersonen befragt, wie der Kunde mit dem Berater Kontakt auf- nimmt. Zwei Drittel der Befragten bevorzugen den persönlichen Kontakt. Dahinter folgen in einigem Abstand Telefonkontakt und E-Mail-Kontakt.

ZURÜCK ZUM KÖNIG

Wenn die Finanzberater wieder von ihren Königen in Anspruch genommen werden wollen, dann werden zweifellos Änderungen notwendig sein. Einfacher gesagt, als getan. In Banken „jagt“ ein Vertriebsmeeting das andere und strategische Papiere halten oft nur wenige Wochen der beinharten Realität stand. Vermögensberater können Gelerntes und oft tief Verinnerlichtes auch nicht von heute auf morgen über Bord wer- fen. Der Trend scheint heute zu einem ganzheitlichen Modell zu gehen. Kompetenz, Qualifizierung und als Resultat eine ganzheitliche Finanzberatung wer- den in der Zukunft wohl nicht mehr zu trennen sein.

Der Rechtsanwalt Dr. Ernst Brandl ist überzeugt, dass die Zeit des Vertriebs vorbei ist und die Zeit der Beratung gekommen ist: „Die Zahl der Finanzdienstleister wird noch einmal halbiert, dafür werden die Verbleiben- den besser ausgebildet und geprüft sein. Ich sehe die Zukunft in Finanzanwälten oder Finanznotaren, für deren Lei- stung die Kunden auch einen fixen Stundensatz bezahlen werden.“ Auch Andreas Waldenberger, Finanzberater und für die „ganzheitliche Lebensvor- sorge“ ausgezeichnet, sieht Verbesserungen kommen: „ Der Markt wird be- reits bereinigt. Bis 2013 müssen alle Nachschulungen machen.“ Andreas Reinthaler, Ärztemakler und ebenfalls ausgezeichneter Finanzberater meint: „Auch die Ausbildung muss sich verbessern. Sie muss ein Prozess auf ho- hem Niveau sein, der immer wieder ab- gefragt und überwacht gehört. Es müssen, provokant gesagt, die Dummen raus. Diese darf man Kunden nicht zu- muten.“ Der Branchenprimus AWD hat schon vor zwei Jahren reagiert: „Die Neu-Organisation der Aus- und Weiterbildung ist ein ganz zentraler und wichtiger Punkt. Dazu haben wir die AWD Akademie gegründet. Durch

diese Zentralisierung der Ausbildung gewährleisten wir einen einheitlichen Ausbildungsstandard für alle unsere Beraterinnen und Berater. Zudem arbeiten wir auch intensiv mit externen Dienstleistern zusammen. So haben wir eine Kooperation mit dem WIFI Wien geschlossen, die mit Anfang 2010 gestartet wurde. Ziel dieser Kooperation ist es, im Rahmen der neuen AWD-Akademie das große Know-how des WIFIs Wien zu nutzen. AWD ist damit Vorreiter in der Branche und setzt einen weiteren wichtigen Schritt im Rahmen seines Qualitätsprogramms und neue Standards innerhalb der Branche“, sagt der AWD-Geschäftsführer Eric Samuiloff zu diesem Thema. Einen weiteren Aspekt bringt Walter Worresch, Gesellschafter der Worresch & Partner Werteconsulting, in die Diskussion ein: „Der Finanzberater der Zukunft wird sich entscheiden müssen, ob er die Interessen des Kunden vertritt oder die Interessen der Produktgeber.“

DIE WAHRE LÖSUNG?

„Formulare, Gesetze, Produkt- oder Kundenwissen werden den König Kun- den nicht zurückholen können. Die Lösung liegt im Kopf des Finanzberaters und im Kopf des Kunden. Dort werden aus Gedanken Emotionen und Entscheidungen“, meint der Psychologe DDDr. Karl Isak und verweist damit auf eine völlig andere Dimension: „Neuropychologisch erzeugt alleine das Wort ‘Fonds’ beim Kunden Angst und Panik In der Mentalpsychologie sind wir heute in der Lage, nicht nur die Prozesse, die zum Handeln oder Nicht- handeln führen, nachzuvollziehen und wir können auch gegensteuern.“